C. Dejung u.a. (Hrsg.): Auf der Suche nach der Ökonomie

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Titel
Auf der Suche nach der Ökonomie. Historische Annäherungen


Autor(en)
Dejung, Christof; Dommann, Monika; Speich Chassé, Daniel
Erschienen
Tübingen 2014: (0)
Anzahl Seiten
325 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ryser Dorothee

Dieser Band setzt sich mit der Frage auseinander, was Wirtschaft ist und wie - beziehungsweise ob und inwiefern - sie sich von Kultur und Gesellschaft abgrenzen lässt. Zwölf Autorinnen und Autoren erkunden diese Fragen anhand ausgewählter Begriffe, durch deren Lupe sie die Ökonomie zu fassen versuchen. Um das Fazit vorwegzunehmen: Definitive Antworten findet der Band nicht. Im Zentrum steht die Erkundung der Grenzen zwischen dem Ökonomischen und Nichtökonomischen. Der Ausgangspunkt des Buches ist das nach wie vor ungeklärte Verhältnis zwischen der Wirtschafts- und Kulturgeschichte beziehungsweise die fehlende Rezeption des cn/tara/ tara in der Wirtschaftsgeschichte. Die Herausgeberinnen möchten «historische Untersuchungen des Wirtschaftens aus dem Gravitationsfeld der ökonomischen Theorie» lösen, ohne aber letztere zu verwerfen. Der Band istjedoch gleichzeitig explizit kritisch gegenüber einer gänzliehen Verschmelzung der Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Stattdessen soll nach Verknüpfungspunkten gesucht werden, welche historische Arbeiten bereiehern können.

Das Buch basiert auf einem Diskussionstext, welcher an der Universität Zürich entstanden ist. Die Autorinnen und Autoren instrumentalisieren den Gegenstand ihrer jeweiligen Beiträge, um das Wesen und die Gestalt der Wirtschaft herauszuarbeiten. Dabei nehmen sie ihre «Suche nach der Ökonomie» auf unterschiedliche Art und Weise in Angriff. Die meisten Beiträge kombinieren eine Begriffsgeschichte mit einer Darstellung und Analyse der wichtigsten Theorien und Debatten. Einzelne Beiträge entwickeln eigene Zugänge und Definitionen oder demonstrieren ihre Überlegungen an empirischen Beispielen. Die Beiträge sind alphabetisch angeordnet und umfassen neben den unten besprochenen Begriffen auch Einträge zu den Themen «Innovation» (Lea Haller), «Krise» (Jakob Tanner), «Markttabu» (Monika Dommann), «Nation» (Daniel Speich Chassé) und «Steuern» (Gisela Hürlimann). Nicht reflektiert wird die Auswahl der Begriffe, sondern sie werden einzig mit den «Forschungsinteressen» der jeweiligen AutorInnen erklärt. Da eine solche Auswahl gewisse Vorannahmen über den Gegenstand impliziert, wären weitere Ausführungen hierzu von Interesse gewesen.

In seinem Beitrag zum Thema «Geld» vertritt Jan-Otmar Hesse eine «strikt historische Theorie des Geldes» und wendet sich dabei gegen die meist «zutiefst unhistorische» Konzeption des Begriffs in den Wirtschaftswissenschaften. Er demonstriert dies anhand einer Geschichte des Geldes und der Institutionen, die
seine Benutzung regeln. Dabei wird klar, dass Geld zwar immer dieselben unktionen erfüllte, die damit verbundene Institutionenstruktur sich aber ständig im Wandel befand. Hesse weist weiter darauf hin, dass sich in einer Geschichte der Geldverwendung ökonomische und soziale oder kulturelle Aspekte des Geldes besonders gut verknüpfen lassen.

Ausgehend davon, dass Börsen und Finanzmärkte sprachlich oft mit dem Spielerischen assoziiert werden, setzt sich Alexander Engel im Eintrag «Spiel» mit der Dichotomie von Ernst und Spiel auseinander. Er zeichnet nach, wie diese Begriffe historisch mit den Bereichen Arbeit und Freizeit und damit dem Ökonomischen und Nichtökonomischen in Verbindung gebracht wurden. Engel argumentiert, dass sich diese Dichotomie im Zuge sozioökonomischer Entwicklungen - wie der Entkoppelung von Arbeit und Existenzsicherung - aufgelöst hat. Es habe nicht nur eine Ökonomisierung nicht-ökonomischer Bereiche stattgefunden, sondern
umgekehrt auch eine «Ludifizierung des Ökonomischen».

Christof Dejung knüpft unter dem Titel «Einbettung» an die jahrzehntealte Debatte an, ob ökonomische Theorie universell für alle Gesellschaften gelte und inwiefern wirtschaftliches Handeln stets sozial eingebettet sei. Nach Darstellung der wichtigsten Positionen - von Polanyi bis Granovetter - stellt Dejung fest, dass keiner der Autoren wirtschaftliches und soziales Handeln in modernen und traditionalen Gesellschaften überzeugend voneinander abgrenzen kann. Als Lösung schlägt er vor, jeweils empirisch zu untersuchen, ob das Handeln von Akteuren auf die Festigung sozialer Beziehungen oder die individuelle Nutzenmaximierung zielt.

Thomas Welskopp widmet seinen Beitrag dem Versuch, eine eigene Définition des Begriffs «Konsum» zu entwickeln. Zentrales Element des Konsums ist dabei eine «kaufkräftige Nachfrage», die einem relativen Überfluss des Angebots gegenübersteht. Welskopp betont weiter, dass Konsum nicht zwingend einen Verbrauch impliziert. Die Rolle des Konsums im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft sieht er darin, dass er zu «einer grundlegenden Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens» beiträgt, aber auch die «Bedürfnisbefriedigung in ökonomisches Handeln» einbettet.

Erwähnenswert ist der epochenübergreifende Ansatz. Obwohl die VerfasserInnen überwiegend Historikerinnen der Neuzeit sind, so greifen viele der Beiträge in die Antike oder ins Mittelalter zurück, um die Entwicklung von Konzepten und Begriffen zu fassen. Mehrheitlich in der Vormoderne verankert sind die Beiträge von Michael Jucker («Beute») und Jan Behnstedt/Marcus Sandl («Religion»). Jucker untersucht die ökonomische und symbolisch-kulturelle Bedeutung von Beute und die Umwandlungsprozesse, welche Objekte durch Plünderung durchlaufen können. So haben sakrale Gegenstände zunächst hauptsächlich einen symbolischen Wert, werden als Beute jedoch zu ökonomisch bedeutsamen Objekten. Jucker schliesst, dass ökonomischer und symbolischer Wert nie klar trennbar sind. Während Plünderungen meist ökonomisch motiviert sind, so schwingt die symbolische Bedeutung immer mit. Behnstedt und Sandl weisen darauf hin, dass Wirtschaft und Religion in der Vormoderne «nicht durch eine Strukturdifferenz charakterisiert waren», dass aber ebenso wenig die Herausbildung einer solchen ab 1800 angenommen werden soll. Stattdessen plädieren sie dafür, anhand geeigneter «Konstellationen» wie Räumen oder Ereignissen zu untersuchen, ob und wie Wirtschaft und Religion historisch differenziert wurden.

Dieses Buch regt zum Denken an: Das uns allen implizite Verständnis von Wirtschaft wird hinterfragt, die Bedeutung und der Inhalt alltäglich verwendeter Begriffe überprüft. Die Beiträge führen eindrücklich vor Augen, dass Begriffe und Konzepte immer historisch gewachsen sind und eine gewisse Reflexion benötigen, bevor man mit ihnen operiert. Wer sich mit den historischen Dimensionen von Wirtschaft und Wirtschaften beschäftigt, findet hier viel Stoff zum Nachdenken. Wenn auch nicht das vornehmliche Ziel des Buches, so bieten die meisten Beiträge zudem einen Überblick über den Forschungsstand, wichtige Debatten oder die Begriffsgeschichte der jeweiligen Themen oder zeigen zumindest Richtungen für die weitere Lektüre auf.

Nicht ganz überzeugend ist allerdings die Konzeption des Buches als «lexikonähnliches Handbuch», dessen Beiträge auch für sich stehen könnten. Zwar lässt dies den Autorinnen und Autoren Platz, ihre Überlegungen frei zu entfalten. Entsprechend sind die Beiträge inhaltlich und im Aufbau sehr heterogen. Gleichzeitig fehlt durch den Verzicht auf eine detaillierte übergeordnete Frage-Stellung, ein klares Narrativ oder ein Fazit die Kohäsion eines Sammelbandes. Eine Synthese der Erkenntnisse hätte zur Formulierung einer Strategie beitragen können, Wirtschafts- und Kulturgeschichte sinnvoll zu verknüpfen. Zwar betonen die Herausgeberinnen, dass die Suche das Ziel sei. Doch bleibt das Gefühl, dass die einzelnen Beiträge im Raum stehen, ohne ein Ganzes zu ergeben.

Zitierweise:
Dorothee Ryser: Rezension zu: Christof Dejung, Monika Dommann, Daniel Speich Chassé (Hg.), Auf der Suche nach der Ökonomie. Historische Annäherungen, Tübingen: Mohr Siebeck, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 2, 2016, S. 338-340.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 2, 2016, S. 338-340.

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